Jo Nesbø: „Gjenferd“ – Norwegen 2011, deutsche Erstausgabe 2012
Harry Hole ist so etwas wie der Kommissar Wallander Norwegens. Seit Jahren zieht der Autor Jo Nesbø mit seinen Krimis um den chaotischen, alkoholsüchtigen, aber von einem unerbittlichen Gerechtigkeitssinn getriebenen Ermittler das internationale Lesepublikum in seinen Bann. Für Holes neunten Fall „Die Larve“ (Originaltitel: „Gjenferd“, was so viel bedeutet wie ‚das Gespenst‘) hat Nesbø kürzlich den Peer Gynt Preis bekommen. In der Begründung heißt es: „für den internationalen Erfolg und weil er damit Norwegen auf die weltweite Agenda von Literatur befördert habe“.
Dabei ist Harry Hole in seinem neunten Fall offiziell schon längst kein Polizist mehr. Bereits im Vorgängeroman „Der Leopard“ (Originaltitel: „Panserhjerte“) kam der Osloer Ermittler extra aus Honkong angeflogen, um einen brutalen Serienmörder zu stellen. In „die Larve“ geht es nun um eine persönlichere Angelegenheit. Als Harry nämlich erfährt, dass Oleg, der Sohn seiner Ex-Freundin und großen Liebe Rakel, des Mordes an einem Junkie verdächtigt wird, macht er sich abermals von Honkong auf nach Oslo. Dort begibt sich der Vollblut-Ex-Polizist in Norwegens dunkelste Drogenszene, um die Unschuld seines Ziehkindes zu beweisen.
Harry Hole ermittelt dieses Mal vollkommen auf eigene Faust, nicht immer legal und entlarvt die Drahtzieher in einer Welt aus Sucht und Geldgier, die gleich in dem Viertel hinter Oslos schöner Oper beginnt. Ungeschminkt zeigt der Autor dabei die Stärken und Schwächen seines Landes, stellt etwa den hervorragenden Blick auf Oslo von einem westlichen Villenviertel aus dem traurigen Leben der Junkies im Osten gegenüber. Hier rühmen sich die Politiker und Mächtigen der Stadt ihrer Erfolge, dort lechzten die Verlierer der Gesellschaft im reichsten Land Europas der neuen (von Nesbø erfundenen) Droge Violin hinterher. Korruption hier und da.
Nesbø webt die Fäden seiner Handlung dabei in gewohnt geschickter Manier, spielt mit den Erwartungen seiner Leser, lüftet und schafft neue Geheimnisse, sodass der Spannungsbogen bis zur letzten Seite ansteigt. Wesentlich ruhiger erzählt als der „Leopard“, ist „Larve“ zudem wohl einer der persönlichsten Fälle Harry Holes. Mitten im Drogensumpf Oslos geht es hier auch um ein Vater-Sohn-Verhältnis mit Hindernissen, rührende Momente wechseln mit actionreichen Szenen und führen hin zu einem wahrlich überraschenden Schluss.
Wer das Buch anschließend aus der Hand gelegt hat, wird sich unweigerlich fragen, wie der zehnte Fall Harry Holes wohl aussehen wird. Es soll der letzte des beliebten Ermittlers werden, sagte Nesbø in einem Interview. Er arbeite schon an diesem Finale für seine erfolgreichste Figur und verspricht, Hole danach wirklich nicht noch einmal wiederzubeleben. Eigentlich schade.
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